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Das Licht in den Gründen

Es ist Herbst. Blätter sammeln sich in den Pfützen der Gehwege. Bei Nebel in der Dämmerung verwandeln sich Häuser in vieläugige Wesen mit ockernen Blicken. Die Farben der Lichter schimmern trüb oder grell auf dem nassen Asphalt der Straßen und Plätze. Bernd Weingart unterwegs in Berlin.

Die Nacht hatte ihn schon immer angezogen, schon als er auf seinen lichten Flügen durch die Thüringer Landschaft die Welt der Flüstergewölbe entdeckte. Und jetzt konnte er sie noch einmal ganz anders interpretieren, jene Stimmung, die er seit damals so leidenschaftlich mit seinen Bildern zu übersetzen versucht. Gespiegelt fand er sie nun im Dunkel, das tief aus den Pfützen starrt, in denen gefallene Blätter scheinbar unendlich verlangsamt fortwirbeln, bewegt von seltsamen Attraktoren im kosmischen Raum. Inmitten gähnender Unendlichkeit: das Welken der Dinge. Sichtbar in einem altgoldenen Licht, das sich - in seiner Farbe verwandt dem Licht der ältesten Galaxien unseres Universums - manchmal vom Blick des Betrachters her über die Dinge legt. Ein anderes Mal durchscheint es das Welken desselben Betrachters wie einen Schleier. Und obwohl Bernd Weingart nicht ausmachen konnte, woher das Licht kam oder wohin es sich eventuell verlor, bezeichnet er es, der Bewegung in seinen Bildern folgend, als Das Licht in den Gründen.

Eine verschleierte, traurig machende Wärme, die er da erlebt, die zugleich aber auch immer eine bezaubernde Trösterin, eine «mit Trauer gesättigte Bezauberung» sei. Auf ihrer Fährte fand ich vielleicht so etwas wie den Eingang zur eigenen Unterwelt, sagt er, im Weinbergspark in Berlins Mitte stehend, auf eine vom Regen geformte Rinne im Sand weisend. So viele Nächte habe er sie belauscht, wenn das Laternenlicht ihr entlang floss, feinkörnig, still und ohne Bedeutung. Hinab ins Tuat-Blau traumverwandter Wirklichkeit, dorthin, wo die eigene Existenz ihren schwarzen Grund nicht mehr verbirgt, wo gerade das Schöne es ist, welches die melancholische Form der Traurigkeit gebiert.

- Christian Weingart